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Wenn Kinder zu Mördern werden ist das Fernsehen schuld, die Gesellschaft und vor allem die Rechten

Der schockierende Mord an der zwölfjährigen Luise lässt wieder die Experten aus allen Löchern kriechen. Die meisten sind widerliche Hyänen, die nur das absondern, was in die politische Agenda passt. Die Medien, Computerspiele und die Gesellschaft sind schuld, die Täter bräuchten dringend Therapie und zu allererst müsse man Vorurteilen den Wind aus den Segeln nehmen, in dem man keine Herkünfte benennt, außer natürlich, wenn das Messerkind aus einer Reichsbürgerfamilie stammt und ungeimpft zur Schule kommt.

Inzwischen ist beinahe alles zum Fall bekannt geworden, in Luises Heimatort wird man auch um die Herkunft der Familien wissen, aus denen die beiden Täterinnen stammen. Das aber ist für die Zukunft nicht so besonders wichtig, wie folgendes. Wo sie am Ende bleiben und ob sie irgendwann wieder auf freien Fuß gelangen, damit sie eine zweite Chance bekommen, wird wahrscheinlich niemand erfahren. Genau das aber wäre ein öffentliches Interesse.

Es wird weiterhin eine Gefährdung von ihnen ausgehen – jeder “Gutachter”, der anderes behauptet lügt und täuscht die Öffentlichkeit. Wenn alle Beteiligten, wie spätere Kontaktpersonen, zum Beispiel in einem betreuten Ausbildungsverhältnis, wissen mit wem sie es zu tun haben, können sie entscheiden, ob sie beispielsweise ihre Kinder in einer Einrichtung betreuen lassen, in der gleichzeitig Resozialisierungsversuche mit jugendlichen Mördern und Gewalttätern probiert werden. Aus Gründen des Schutzes der Persönlichkeitsrechte und der Schweigepflicht erfährt meist nicht mal das pädagogische Fußvolk in solchen Einrichtungen diese vielleicht lebenswichtigen Details.

Hier ein anderer Fall aus meiner Kindheit, der damals für heftige Diskussionen sorgte und keinerlei Konsequenzen nach sich zog:

Zwei Mädchen (13 und 14) locken den siebenjährigen Michael Grün mit einem Ball ins Haus und erdrosseln ihn auf dem Dachboden

Ich kann mich deshalb so gut daran erinnern, weil meine Cousine mit der Schwester des ermordeten Jungen gut befreundet war. Damals wurden Namen noch voll genannt, so schrieb der SPIEGEL 1975 von Iris und Elisabeth, die einem möglichst hübschen Jungen auflauerten, um ihn dann zu ermorden. Sie lockten den arglosen Jungen mit Süßigkeiten und einem Ball ins Haus, wollten ihm dann angeblich ein Meerschweinchen und erdrosselten ihn auf dem Dachboden mit einem Gürtel. Im SPIEGEL ist von einem Bademantel die Rede, vielleicht stammte der Gürtel daher. Das Motiv schockierte: Die beiden Mörderinnen gaben an, sie wollten einfach einmal wissen, wie es ist, jemanden zu töten, wie im Fernsehen. Letzter Auslöser soll der Film “Eine Lustpartie” von Regisseur Claude Chabrol gewesen sein, der am Sonntag vor dem Mord in der ARD ausgestrahlt worden sein soll. Tags darauf setzten die Mädchen ihren schon länger gefassten Plan in die Tat um und ermordeten den siebenjährigen Michael Grün aus Kevelaer.

Der Film hat es wirklich in sich. Es geht um die tragische Ehe eines Schriftstellers, die mit dem brutalen Mord an der Frau endet. Die Rolle des Mörders übernahm Chabrols guter Freund Paul Gégauff, seine Ex-Frau spielte die ermordete Gattin und die gemeinsame Tochter des geschiedenen Schauspielerpaars, mimte die Filmtochter. Das sollte dem Streifen wohl besondere Authentizität verleihen. Die Handlung ist schnell zusammengefasst. Die Ehepartner haben das spießbürgerliche Leben satt und begehen deshalb Seitensprünge, von denen sie sich gegenseitig erzählen. Der Mann macht das Spiel zunächst mit, hat aber dann seine Eifersucht nicht mehr im Griff und die Tragödie nimmt ihren Lauf. Paul Gégauff wurde dann im richtigen Leben (1983) von seiner zweiten Frau ermordet. So kann’s gehen. Kein Stoff für heranwachsende Jugendliche, die nach Orientierung suchen, wie Iris und Elisabeth, die nicht aus den allerbesten Verhältnissen stammten, was der SPIEGEL nicht mal erwähnte.

Der pädagogisch korrekte Tatort

Der Fall führte, so weit ich mich erinnern kann, zu mehreren Fernsehdiskussionen und Experimenten, wie einem “pädagogisch wertvollen Tatort ohne Leiche”, aber dabei blieb es denn auch. Ein paar Jahre später durfte die minderjährige  Nastassja Kinski (15) im Tatort “Reifezeugnis” die Lolita geben, ohne dass das Jugendamt einschritt. Regisseur des fragwürdigen Streifens war Wolfgang Petersen (“Das Boot”). Der Mist gilt immer noch als Sternstunde des deutschen Fernsehens. Was solche Geschichten in Kindern anrichten, kümmert die Verantwortlichen einen Dreck oder ist Absicht. Und nein, ich bin nicht spießig, aber solche Filme sind etwas anderes, als Bud Spencer und Terence Hill, Winnetou, Star Wars und andere Gut gegen Böse Geschichten, die bei Jugendlichen und Kindern an der Schwelle zur Pubertät trotz vielleicht viel eindeutigerer Gewaltszenen, viel weniger Schaden anrichten können, diese Vereinfachung brauchen Kinder sogar. Minderjährige Mädchen haben in erwachsenen Rollen (im Tatort spielt die Kinski-Tochter eine 17-jährige) nichts zu suchen. Wessen Voyeurismus wurde und wird denn weiterhin mit den “erotischen” Szenen einer damals 15-Jährigen bedient?

Nun ja, aber die Medien alleine kann man nicht für Jugendgewalt verantwortlich machen, Computerspiele produzieren nicht automatisch Amokläufer und auch so manches religiöse Buch wird erst in der Hand von gewissenlosen Hasspredigern zum Instrument des Terrors, wenn sie auf sorgsam vorbereiteten fruchtbaren Boden fallen. Für sich alleine kann kein Medium diese Wirkung entfalten, außer – und jetzt verlasse ich den ernsten Hintergrund wieder – außer natürlich, es handelt sich um rechtspopulistische Blogs, die durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften indiziert werden. Hier darf man keine Namen nennen, sonst begeht man möglicherweise einen Verstoß gegen das Telemediengesetz. Ja, so ist er, unser Rechtsstaat, stets Schlagseite Backbord.

Und die wahren Ursachen sind?

Sind bekannt. Jeder weiß es, doch wenn es darauf ankommt, will es nie einer gewusst haben. “Privatsache, da kann man sich nicht einmischen, Pack schlägt sich, Pack verträgt sich” und so weiter lauten die Ausreden. Insofern ist schon “die Gesellschaft” schuld, indem sie wegschaut und sich aus der Verantwortung windet. In kleinen Dörfern kennt und meidet man solche Familien, wie die “Familie Ritter” aus Stern TV, die durch die Sendung bundesweit bekannt geworden ist. Es gibt sie, diese Schicksale, die einfach nicht viel anders verlaufen können, weil der Apfel nicht weit vom Stamm fällt. Und man weiß auch, welche Faktoren das Wachstum und die Ausbreitung solcher Milieus beschleunigen, dass kein Kraut mehr dagegen gewachsen ist und sich die Strukturen derart verfestigen, dass man von organisierter Kriminalität reden kann. Wenn Sittenverfall und wirtschaftliche Erosion weiter voranschreiten, sind brasilianische Verhältnisse mit Straßenkindern, die für wenige Dollar einen Auftragsmord begehen, auch in Berlin denkbar. Schuld sind dann wie gewohnt die Rechten, obwohl jahrzehntelang nur linksgrüne Politik betrieben worden ist.