Vorbemerkung: Meteorologen betrachten die Zeit zwischen 900 und 1300 als eine mediterrane Periode in Deutschland. Nichts Ungewöhnliches also an den Beobachtungen von heute. Hilfreich ist stets, einen Blick über Jahrhunderte einzunehmen. Lauschen wir dem vom berittenen Boten verkündeten Wetterbericht:
Höret, ihr getreuen Bewohner der Lande zwischen Lahn, Rhein und Main. Heute, am 22. Tage des Monats Juni, gelangt aus dem Hoflager zu Ingelheim eine frohe Botschaft an euer Ohr. Die hohe königliche Wetterverkündung, bestätigt von den klösterlichen Schreibern in Fulda, Hersfeld und Corvey, lässt keinen Zweifel: Die Sonne steht über unserem Reich in solcher Macht und Pracht, dass heute in den tiefen Tälern über fünfunddreißig Grade gemessen wurden. Diese Wärme ist kein seltsames Wetterspiel, sondern Ausdruck einer anhaltenden Gunst, wie sie seit vielen Sommern das Reich begleitet und auch in den nächsten Jahren Bestand haben wird.
Kaiser Heinrich, von Gottes Gnaden Lenker des Heiligen Reiches, lässt verkünden:
Die Wärme sei Zeichen des Segens. Sie stärke die Felder, nähre die Reben, trockne den Lehm, auf dem die Städte wachsen. Schon seit dem Jahre 1090 berichten die Chroniken aus den Klöstern von einer Folge guter Sommer, und es mehren sich die Zeichen, dass diese milde Ordnung des Himmels noch mindestens dreißig Sommer fortbestehen möge.
Die Erde zeigt sich willig
Die Halme auf dem Feld stehen hoch und voll, die Ähren schwer vom Korn. Bereits zur Vesperzeit kann das gemähte Gras auf den Wiesen in lockeren Haufen gewendet und am nächsten Morgen unter schattiger Hand eingefahren werden. Eure Vorratshäuser werden sich füllen mit fest gebündelter Ernte, sauber gestapelt unter dem Gebälk der Scheunen. Die Arbeit geht leicht von der Hand, und das Vieh ruht zufrieden in kühlem Schatten.
Auch an den Hängen von Rhein, Mosel und Saale gedeihen die Reben, dass es eine Freude ist, sie zu betrachten. Die Weinranken schlingen sich kräftig dem Himmel entgegen, und die Trauben versprechen einen Jahrgang, der in klösterlichen Kellern genauso frohlockend fließen wird wie auf fürstlichen Tafeln. Wer in diesen Tagen einen neuen Pflock setzt, legt den Grund für ein Erbe, das seine Enkel in Ehren halten werden.
Wohlstand im Gewerke
In den Städten wird geschmiedet, gezimmert und gehandelt wie selten zuvor. Die Gassen sind trocken ohne Pfützen, die Dächer sicher, das Handwerk blüht. Tuch wird ausgebreitet, Lehmziegel getrocknet, und selbst das Salz erreicht über weite Wege die Märkte ohne Schaden. Kaufleute, Fuhrleute und wandernde Bäcker finden gute Rast, da keine Wetterunbild ihre Reise stört.
Der Blick gen Himmel
Drüben, vom Land der Franzosen her, zeigen sich am westlichen Saum des Horizontes einige weiße Wölkchen, die in den nächtlichen Stunden als milder Tau herabfallen könnten. Sie tränken eure Felder mit sanfter Hand, ohne das trockene Glück des Tages zu stören. Aus dem Reiche des Zaren Igor, fern im Osten, wehen weiterhin warme Lüftchen, die das Wetter milde halten und den Sommer über uns fest verankern. Drei Monde noch, so sagen die klösterlichen Sternkundigen, wird diese Wohltat des Himmels anhalten. Die Luft bleibt trocken und süß, der Wind ist weich und trägt den Duft der Kräuter und Kornfelder durch Täler und Gassen.
Freude im Volke
Die Alten berichten von früheren Zeiten, in denen kalter Regen die Saat zerstörte, in denen Mühlen stillstanden und Fuhwerke auf den Wegen versanken. Doch diese Jahre, in denen wir heute leben, sind voller Licht. Die Kinder tanzen barfuß am Brunnen, die Alten schlafen bei offenen Fenstern. Es ist ein Sommer, wie ihn der Herr in seiner Gnade nur den Aufrechten und Tüchtigen schenkt.
Aufforderung zur Tat
So sei nun jeder gerufen, mit frohem Sinn und fleißiger Hand diesen Segen zu nutzen. Der Pflug soll früh geführt, die Sense scharf gehalten, das Weinholz aufgerichtet werden. Der König sieht in diesem Wetter Gottes Bestätigung seiner weisen Führung und eurer Treue. Möge jede Stunde des Lichtes mit Werk und Wohlstand gefüllt werden.
Dies sei euch verlesen, vom Turme und vom Markt, im Namen des Reiches und zur Freude aller freien Christen.