Als junge Oppositionspartei ist man im Zweifel erst einmal dagegen und segelt damit auf sicherer Seite, wenn es darum geht, Wählerstimmen einzusammeln. Gerade auch bei Themen, die man eher bei den Grünen verortet, kann sich die von Merkel erprobte Taktik auszahlen. 2017 war die Welt quasi noch in Ordnung und die AfD wetterte lauthals gegen den Einsatz von Glyphosat.
„Unzählige Studien haben auf die erheblichen Risiken des Einsatzes von Glyphosat für den Menschen, Nutz- und Wildtiere hingewiesen. Wissenschaftler machen den Unkrautvernichter mitverantwortlich für Mutationen bei Tieren und schließen Erbgutveränderungen sogar bei Menschen nicht aus. Für die Landwirtschaft muss an einer Alternative zu Glyphosat geforscht werden. Wir können nicht weiter tatenlos zusehen, wie auf Kosten der Gesundheit unserer Bürger skrupellos die Interessen von Chemiekonzernen vertreten werden. Damit ist auch unseren Bauern in Deutschland nicht geholfen.“
Alice Weidel – 2017
Auch der landwirtschaftliche Sprecher Stephan Protschka fand deutliche Worte:
„Es gibt deutliche Hinweise darauf, dass Glyphosat das Bodenleben schädigt und damit langfristig sogar die Grundlage für den Anbau unserer Lebensmittel vernichtet. In der Gesamtbetrachtung ist die weitere Zulassung von Glyphosat in der Bundesrepublik ein unverantwortliches Risiko, dass auch dem Ziel einer Pestizid- und Herbizidreduzierung widerspricht.“
Stephan Protschka – 2017
2023 klingt das plötzlich ganz anders:
Die derzeit bestehenden Alternativen zu Glyphosat haben große negative Umweltauswirkungen. Bei der intensiver Bodenbearbeitung wie beispielsweise dem Pflügen ist der Boden anschließend kahl und der Witterung ungeschützt ausgesetzt. Das befördert insbesondere bei Wind und Regen die Bodenerosion. Außerdem wird dadurch die Bodenverdichtung verstärkt, was auch die Bodenlebewesen negativ beeinträchtigt. Methoden wie Untersaaten und Mischkulturen haben den Nachteil, dass sie vergleichsweise arbeits- und kostenintensiv sind und die Qualität des Ernteguts leiden kann. Thermische und elektrophysikalische Methoden, wie beispielsweise Abflämmen oder Heißdampf, verursachen hohe Energiekosten, Brandrisiko sowie die Vernichtung von Bodenlebewesen, Insekten und Bodenbrütern. Andere zugelassene Herbizide kommen deshalb kaum in Frage, weil sie in der Regel häufiger eingesetzt werden müssen und insgesamt eine schlechtere Umweltbilanz als Glyphosat aufweisen.
Drucksache 20/9321 – Bundestag
Über diesen merkwürdigen Stimmungswechsel haben wir im November berichtet, denn die AfD verlangt, dass das ab Januar 2024 in Kraft tretende Verbot von Glyphosat in Deutschland aufgehoben wird, nachdem die EU das Mittel für weitere zehn Jahre zugelassen hat: „AfD will Glyphosat-Verbot aufheben!“
Eine sachkundige Leserin hat bei der AfD nachgefragt und bekam Antwort von Stephan Protschka, in der er seinem früheren Standpunkt widerspricht. Besonders interessant dabei ist, wie unkritisch sich der landwirtschaftliche Sprecher auf US- und EU-Behörden und die WHO beruft und deren „unabhängige“ Studien als Quellen anführt:
Sehr geehrte Frau …,
[…]
Der Ausschuss für Risikobewertung (RAC) der Europäische Chemikalienagentur (ECHA) hat am 30. Mai 2022 festgestellt, dass Glyphosat auf Grundlage aller verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht als krebserregend, mutagen oder reproduktionstoxische Substanz eingestuft werden kann. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) kommt in ihren Schlussfolgerungen zum Peer-Review der Risikobewertung von Glyphosat vom 6. Juli 2023 zu dem Ergebnis, dass im Hinblick auf die Gesundheit von Mensch und Tier sowie auf die Umwelt keine kritischen Problembereiche festgestellt wurden. Die EFSA bestätigt außerdem, dass Glyphosat nicht die wissenschaftlichen Kriterien für eine Einstufung als karzinogener, mutagener oder reproduktionstoxischer Stoff erfüllt.
Die US-Umweltschutzbehörde (EPA) kam im Januar 2020 zu dem Schluss, dass durch die derzeit zugelassenen Anwendungen von Glyphosat keine Risiken für die menschliche Gesundheit bestehen und dass Glyphosat für den Menschen wahrscheinlich nicht krebserregend ist. Am 15. Juni 2021 hat die europäische Bewertungsgruppe für Glyphosat (Assessment Group on Glyphosate – AGG) ihre Bewertung vorgelegt und darin erklärt, dass die Einstufung von Glyphosat als krebserregend, genotoxisch oder mutagen nicht gerechtfertigt ist und Glyphosat kein Risiko für die menschliche Gesundheit darstellt.
Der Einschätzung, dass Glyphosat als sicher und nicht krebserregend eingestuft wird, folgen unter anderem auch die australische Behörde für Pestizide und Tierarzneimittel, die brasilianische Gesundheitsbehörde (ANVISA), das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), die japanische Kommission für Lebensmittelsicherheit, das kanadische Gesundheitsministerium (Health Canada), die koreanische Verwaltung für ländliche Entwicklung, die Umweltschutzbehörde von Neuseeland, das FAO/WHO-Gremium für Rückstände von Pestiziden.
Laut dem International Programme on Chemical Safety (IPCS) zeigen Tierstudien, dass Glyphosat nicht krebserregend, mutagen oder teratogen ist. Das Joint Meeting on Pesticide Residues (JMPR) sagt ebenfalls, dass durch die Aufnahme von Glyphosat über die Nahrung wahrscheinlich kein krebserzeugendes Risiko für den Menschen darstellt. Das WHO-Team „Wasser, Sanitärversorgung, Hygiene und Gesundheit“ stellt fest, dass Glyphosat im Trinkwasser keine Gefahr für den Menschen darstellt.
All diese Erkenntnisse nehmen wir ernst und sind in unsere Entscheidungsfindung eingeflossen. Wichtig ist uns, dass der Wirkstoff bestimmungsgemäß und sachgerecht angewendet wird. Das betrachten wir in Deutschland, im Gegensatz zu Drittstaaten, definitiv gewährleistet. Die von Ihnen angesprochene Minimalbodenbearbeitung ist übrigens ein gutes Beispiel für die Wichtigkeit des Wirkstoffs Glyphosat, wie ich in meiner ersten Antwort bereits erwähnt hatte. Denn rein mechanisch ist die Minimalbodenbearbeitung zwar möglich, aber deutlich aufwändiger. Es gibt beispielsweise höhere Kosten bei Maschinen- und Gerätetechnik, Kraftstoff und Betriebsleitermanagement und außerdem ist die Sicherheit und Planbarkeit bei Unkrautkontrolle, Gülledüngung, Saatbettvorbereitung und Bestandführung rein mechanisch derzeit nicht gegeben. Ganz abgesehen von den Auswirkungen auf Boden und Bodenbrüter, wie ich ebenfalls in meiner ersten Antwort bereits erwähnt hatte.
Mit freundlichen Grüßen
Stephan Protschka
Der komplette Schriftwechsel liegt der Redaktion vor. Was ist geschehen, dass die AfD plötzlich umschwenkt und Behörden und Institutionen Glauben schenkt, deren Ergebnisse und Empfehlungen sie während der „Corona-Pandemie“ auf das Heftigste kritisiert hat?
Glyphosat wurde in Österreich übrigens schon 2019 verboten. Die ÖVP war dagegen, konnte sich aber nicht gegen SPÖ und FPÖ durchsetzen. Das Mittel aus dem Hause Monsanto gilt bei Kritikern auch als Türöffner für die Akzeptanz genmanipulierter Pflanzen. Glyphosat wirkt nicht gezielt gegen „Unkraut“, sondern ist giftig für alle Pflanzen, es sei denn, diese sind gentechnisch verändert und können den Einsatz schadlos überstehen. Wenn sich Glyphosat als „harmlos“ durchsetzt, ist der nächste Angriff der Agro-Gentechnik auf die Gesundheit der Menschen nur noch eine Frage der Zeit. Wir bleiben dran und werden weitere Recherchen anstellen!
Vielen Dank an unsere engagierten Leser!
Kommentare
12 Antworten zu „Glyphosat und Genfood: Warum die AfD plötzlich auf EU-Linie umschwenkt“